Unbequeme Spiele, künstlerische Seitensprünge. Das Theater von Kelly Copper und Pavol Liška

by Florian Malzacher

In: Leben und Arbeit des Nature Theater of Oklahoma. Hg. Florian Malzacher. Berlin: Alexander Verlag, 2019. 13-37.


Das große Theater von Oklahoma ruft euch! Es ruft nur heute, nur einmal! Wer jetzt die Gelegenheit versäumt, versäumt sie für immer! Wer an seine Zukunft denkt, gehört zu uns! Jeder ist willkommen! Wer Künstler werden will, melde sich! Wir sind das Theater, das jeden brauchen kann, jeden an seinem Ort! Franz Kafka, Amerika (auch: Der Verschollene)

Nur heute, nur einmal! Das große Theater von Oklahoma! Schon lange hatten Kelly Copper und Pavol Liška die extravagante Wandertruppe aus Kafkas Amerika als Namensgeber im Kopf für den Tag, an dem sie ihre eigene Kompanie gründen würden. Nicht nur weil der unvollendete Roman für Liška seit seiner Emigration aus der Slowakei – und somit aus der gleichen Gegend, aus der sowohl Kafka als auch Amerika-Protagonist Karl Roßmann stammten – geradezu eine Art Gebrauchsanweisung für das neue Heimatland geworden war. Auch die grandiose Geste des Plakats, die unfassbare Dimension des dubios-verheißungsvollen Naturtheaters von Oklahoma hatten eine starke Anziehungskraft auf die beiden unbekannten Theatermacher*innen, die in ihrer sehr spezifischen Mischung aus Bescheidenheit und starkem Willen nicht daran zweifelten, dass sie mit ihrer Kunst Substanzielles beizutragen hätten.

1991, mit achtzehn Jahren, bekam Liška, der in einer Kleinstadt in der Slowakei aufgewachsen war, die äußerst kurzfristige Möglichkeit, aufgrund eines obskuren Jobangebots in die USA zu ziehen. Er war noch nie zuvor im Ausland gewesen, sprach kein Englisch und hätte eigentlich zur Armee gehen müssen – stattdessen landet er keine Woche später in Oklahoma, im Mittleren Westen der Vereinigten Staaten. Nachts lernte er die Sprache, um tagsüber (wenn er nicht arbeiten musste) den Philosophie- und Schreibklassen am College folgen zu können; immer in Angst, bei nicht ausreichenden Leistungen sein Studienvisum zu verlieren. Nach einem weitgehend verzweifelten Jahr in Oklahoma wechselte Liška schließlich aufs Dartmouth College in New Hampshire, wo er in einem Seminar über dadaistische Performance Kelly Copper kennenlernte – schnell wurden die beiden ein Paar. 1993 machte Copper ihren Abschluss und zog nach New York.

Während Liškas Weihnachtsbesuch im gleichen Jahr sahen sie zusammen kurz hintereinander in einer Art Crashkurs Frank Dell’s the Temptation of St. Antony der Wooster Group, Reza Abdohs Quotations from a Ruined City und Richard Foremans My Head Was a Sledgehammer. Ihr bisheriges Theaterverständnis stand Kopf, und als Liška, der am College gerade Regie für ein eigenes Stück führte, zurückkam, verkündete er seinen Mitstudierenden, “dass wir alles falsch gemacht hatten und alles ändern müssten. Diese drei Shows hatten mir gezeigt, was Theater wirklich sein konnte.“

Seither haben Kelly Copper und Pavol Liška, die sich seit 2004 Nature Theater of Oklahoma nennen, selbst einige der bemerkenswertesten Theaterarbeiten geschaffen, die in der ehemaligen Hauptstadt der Avantgarde in den letzten Jahren entstanden sind: Unverwechselbar in ihrer eigenwilligen Mischung aus konzeptueller Strenge, modernistischen Kunststrategien (zuweilen der bildenden Kunst näher als der performativen) und lustvollem Theaterspiel. Ohne Scheu vor scheinbar trashigen Oberflächen und ungehemmt wildernd in allerlei Theatertraditionen.

Auch wenn ihr Erfolg in Europa am größten ist, bleibt ihr Theater doch unverkennbar nordamerikanisch – nicht zuletzt weil sie für ihre Arbeiten gern auf anglo-amerikanische Theatergenres zurückgreifen wie Dinner-Theater (in No Dice), Musical (Life and Times – Episode 1), show choir (Episode 2), Vaudeville-Mystery-Theater (Episodes 3 & 4), sowie auch auf Westernfilme (Pursuit of Happiness), Hollywoodklassiker wie Citizen Kane (Episode 7), nordamerikanische Landschaftsmalerei (Episode 8) oder gangsta rap (Episode 9).

Vor allem aber sind sie von ihrer Heimatstadt New York geprägt; die meisten Nature Theater-Hausgötter lebten oder leben in Manhattan: Marcel Duchamp als Erfinder des Readymades, Andy Warhol, der den Alltag zur Kunst erhob, John Cage und Merce Cunningham, die den Zufall zum Protagonisten machten, Ken Jacobs und Joseph Cornell mit ihren filmischen found footage-Kompositionen, die Wooster Group mit ihrer Faszination für technische Perfektion und exzessive Überforderung, und nicht zuletzt der einzigartige Jack Smith, der trash und camp als originäre Ästhetiken zelebrierte. Sie alle haben die Arbeiten des Nature Theater beeinflusst, das sich gerne und selbstbewusst in ihren Traditionen sieht.